Frei wie ein Vogel – Gleitschirmfliegen am Hohen Neuffen

Rolf Mößmer hat das Wetter immer im Blick. Sind die Verhältnisse günstig, packt der Gemeinderat aus Grabenstetten seinen Gleitschirm ein und stürzt sich irgendwo in die Tiefe. Wenn der 56-Jährige über seinen Sport erzählt, merkt man schnell, dass er mit Herz und Seele dabei ist: „Man fliegt genauso schnell wie ein Vogel, man kann fünf Meter über die Bäume gleiten, aber auch oben unter der Wolkendecke durch die Luft schweben – auch wenn es abgedroschen ist, das hat schon etwas mit Freiheit zu tun.“

Fliegen – für manche ein Alptraum, für viele Faszination pur. Am Albtrauf springen die Gleitschirmflieger zum Beispiel vom Felsenstartplatz am Hohen Neuffen ab und versuchen, einen guten Aufwind zu erwischen. Dann heißt es erst mal Höhe machen. Die Sportler sitzen in ihren Gurten, drehen ihre Kreise und versuchen mithilfe der Thermik, so lange wie möglich in der Luft zu bleiben. „Das Ziel ist nicht so oft wie möglich zu starten, sondern so weit wie möglich zu fliegen“, erklärt Rolf Mößmer. An normalen Tagen ist bei 4500 Fuß (1370 Meter) allerdings am Hohen Neuffen wegen der Nähe zum Stuttgarter Flughafen Schluss. Bei besonders günstigen Verhältnissen wird die Höhenfreigabe auf Nachfrage von offizieller Seite auf 6000 Fuß (1830 Meter) hoch gesetzt. Die Messung erfolgt per GPS.

„Ein Vereinskamerad ist sogar schon Mal bis an den Rhein geflogen, das sind rund 160 Kilometer“, erzählt der Grabenstettener, der für den DGCW Neidlingen startet, „An einem guten Tag bei optimalen Verhältnissen fliegen viele bis nach Balingen.“ Er selbst hat es vom Hohen Neuffen aus mal bis nach Giengen an der Brenz geschafft, das sind rund 60 Kilometer. Rolf Mößmers persönlicher Rekord liegt bei 92 Kilometern, aufgestellt in Brandenburg. „Da haben wir natürlich schon ein gewissen Ehrgeiz“, lacht der 56-Jährige. Und der reicht soweit, dass Rolf Mößmer mit dem DGCW in der Gleitschirm-Bundesliga aktiv ist, 2012 sprang sogar der vierte Platz in der Abschlusswertung heraus. Haben die Gleitschirmflieger dann wieder festen Boden unter den Füßen, heißt es das Sportgerät zu verpacken und mit dem rund 20 Kilogramm schweren Rucksack auf dem Rücken zu schauen, wie man wieder heimkommt.

Immer auf der Suche nach Startplätzen

Geflogen wird auf der Schwäbischen Alb zwar schon lange, allerdings ausschließlich mit Drachen oder auch Segelfugzeugen. Als dann vor rund 30 Jahren das Gleitschirmfliegen aufkam, mussten die Gleitschirmflieger mangels Startplätze, immer in die Alpen fahren, um ihrem Sport zu frönen. Vor zehn Jahren wurde dann die Initiative „Fußstartplatz Schwäbische Alb“ aktiv, zunächst wurde in Neidlingen ein Startplatz durchgeboxt. „Damals ging die Gleitschirmfliegerei auf der Alb so richtig los“, erinnert sich Rolf Mößmer. Mit einem Startplatz war es aber nicht getan, nach und nach kamen mehr Startplätze für Gleitschirmflieger hinzu. Den Felsenstartplatz am Hohen Neuffen gab es zwar bereits, allerdings war er fest in der Hand der Drachenflieger. „Und das obwohl der Startplatz für Drachenflieger nicht besonders geeignet ist, die brauchen nämlich Anlauf, wir nicht“, erklärt Rolf Mößmer. Doch bald schon lag auch hier die offizielle Erlaubnis vor, kurze Zeit später wurde auch der Nordstartplatz am Hohen Neuffen genehmigt. Obwohl am Hohen Neuffen viel geflogen wird, passiert nur sehr wenig. „Es sind recht anspruchsvolle Startplätze und das schreckt die Anfänger ab“, so der Grabenstettener. Anfangs gab es noch einige Ressentiments seitens der Bevölkerung. „Da gab es einige Hemmschwellen. Doch wir Gleitschirmflieger müssen einfach immer darauf achten, dass uns die Leute wohlgesonnen sind“, erklärt der Sportler. Ein absolutes Tabu ist es beispielsweise in Neuffen auf der Orchideenwiese zu landen.

Eine gute Ausbildung ist das A und O

Eine Ausbildung ist zwingend erforderlich, dazu muss man mindestens 14 Jahre alt sein und eine gewisse körperliche Fitness schadet auch nicht. „Gleitschirmfliegen sieht zwar ein bisschen nach Hängematte aus, anstrengend ist es aber trotzdem. Ich bin jedenfalls nach so einem Flugtag meistens ganz schön erledigt“, bestätigt Rolf Mößmer. Die Gleitschirmfliegerei ist ganzjährig möglich, nur die Windverhältnisse müssen stimmen. Rolf Mößmer selbst hat erst mit 38 Jahren damit angefangen – ganz profan über eine Schnupperkurs, wie ihn auf der Alb zum Beispiel der TV Bissingen im Angebot hat: „Ich habe sofort Feuer gefangen. Die Gleitschirmfliegerei hebt sich von anderen Flugarten ab und im Gleichklang mit Milan, Bussard, Falke oder Gänsegeier quasi überall auf der Welt fliegen zu können, ist einfach unschlagbar.“ Neben der Bundesliga, die auf Strecke geht, gibt es weltweit eine ganze Reihe von Wettbewerben mit vorgegeben Routen, die auf Zeit gehen. „Da geht mein ganzer Urlaub drauf“, gibt Rolf Mößmer zu, der in Nürtingen eine IT-Firma betreibt, „Aber eigentlich macht mir das nichts aus, denn die Gleitschirmfliegerei ist ja wie Urlaub.“

Informationen:
DC Hohen Neuffen, www.dc-hohenneuffen.de
TV Bissingen, www.tv-bissingen.de
DGC Neidlingen, www.dgcw.de

Fotografie Hohenneuffen: www.fotografie-hohenneuffen.de

Text: Kerstin Dannath