Seelsorger und Bauer in einer Person
Von schwäbischen Pfarrern und Bahnbrechern der Landwirtschaft
Unsere Bauern sind bekannt für ihr starkes Beharrungsvermögen, das seine Vor- und Nachteile haben kann. „Do hot mei Großvadder gmigget, ond do migg i au, ond wenn’s da Berg nuff goht“, heißt ein altes schwäbisches Sprichwort, das bäuerlichen Redensarten entnommen ist. So verhält es sich auch mit dem Wirtschaftssystem, dem der schwäbische Bauer über ein Jahrtausend lang trotz seiner Nachteile treu blieb.
Es ist hier allerdings zu berücksichtigen, dass der Bauer seinen Hof lange genug nicht zu vollem Eigentum besaß, deshalb sah er sich veranlasst, über das Notwendige hinaus für Bodenbearbeitung und Feldbestellung Arbeit oder Geld aufzuwenden. Und wo es sich um Allmandteile handelte, wachten die Gemeindegenossen in ihrem eigenen Interesse darüber, dass die Weide darauf nicht zu Neuerungen geschmälert wurde. So blieb man beim althergebrachten Zustand, mochten sich auch die Missernten und Hungersnöte häufen.
Ja, man deutete diese als eine Strafe Gottes und fand sich damit ab, ohne über bessere Anbaumethoden nachzusinnen. Da ist es umso bezeichnender, dass eine ganze Reihe schwäbischer Pfarrer im 18. und 19. Jahrhundert die von auswärts kommenden landwirtschaftlichen Neuerungen ihren Bauern durch Wort und Tat nahe brachten. In Kupferzell im damaligen Oberamt Öhringen warb Pfarrer J. F. Mayer von 1744 an mit seinen landwirtschaftlichen Versuchen für den Anbau verschiedener Kleearten. Er führte auch als erster in seiner Gegend den Kartoffelbau ein, ließ Angersen (Kuhrüben) aus England kommen, förderte den Obst- und Gartenbau und trat in Wort und Schrift für das Gipsen der Felder ein, was ihm schließlich den Namen „Gipsapostel“ eintrug. Dass entkalkte saure Böden entsäuert und gekalkt werden müssen, war damals noch nicht genügend bekannt, und so setzte sich auch Pfarrer Jeremias Höslin (1722-1789) in Böhringen auf der Uracher Alb mit Nachdruck für eine Mergelung der Böden ein, wie sie sich besonders in den Weinbergen bewährte, auf den Albäckern aber nicht in Frage kommt. Seine weitere Erkenntnis war die Notwendigkeit des Anbaus von Futterpflanzen, nachdem man bis zum 19. Jahrhundert nur den Weidgang, aber keine Stallfütterung kannte. Auch forderte er den Ersatz der Brachrübe durch den Bodenkohlraben und die Ansaat von Haber. „Aber die Albbauern wollen keine Neuerungen“, klagte der Pfarrer, „und haben zu wenig Gemeinsinn“.
Als der „erste Verbesserer unserer vaterländischen Landwirtschaft“ gilt Pfarrer Johann Gottlieb Steeb (1742-1799), der in Grabenstetten Seelsorger und „Ortsbauernführer“ in einer Person war. Auch er machte eigene landwirtschaftliche Versuche, weil er sich als gelehrter Bauernpfarrer sagte, dass nur das bessere Beispiel den Bauern überzeugen könne. Seine Vorliebe galt dem Anbau des Espers oder der Esparsette, ein heute auf der Alb nur noch selten anzutreffender Schmetterlingsblütler.
Seinen Bemühungen zufolge ordnete die Regierung den Esperbau für die ganze Alb an. Pfarrer Steeb erntete dafür den Übernamen „Apostel des Espers“. Auf sein Betreiben war auch 1799 die Gründung der ersten landwirtschaftlichen Gesellschaft in Württemberg zurückzuführen.
Den ersten „Landwirtschaftlichen Bezirksverein für die raue Alb“ gründete schon 1835 Pfarrer Konrad Dieterich in Böttingen, wo er von 1830-1862 Seelsorger war und das umfangreiche Pfarrgut in eigene Verwaltung nahm. Dadurch vertiefte er sich in die bäuerliche Arbeit und übte einen nachhaltigen Einfluss auf die Hebung der Landwirtschaft in weitem Umkreis aus. Auch Viktor August Luz, von 1778-1787 Pfarrer in Bernloch, sowie August Johann Friedrich Weinland (1778-1857), lange Zeit Pfarrer in Grabenstetten, werden als eifrige Förderer der Landwirtschaft in ihren Gemeinden gerühmt. In diesem Sinne verdienen noch hervorgehoben zu werden der Prälat von Adelberg, Balthasar Sprenger (1724-1791) und der Direktor des Kirchenrates, Christian Hochstetter von Hochenstatt (1707-1785).
Es muss auffallen, dass so viele Pfarrer fast zu gleicher Zeit mit landwirtschaftlichen Ideen auf den Plan traten. Aber die Pfarrer waren durch ihr zur Pfarrstelle gehörendes Gut im Nebenamt auch Bauern, sofern sie ihre Felder nicht verpachteten, was auch häufig geschah. Durch Bildung, Reisen und eine ausgedehnte Korrespondenz gewannen die Bauernpfarrer Vergleichsmaßstäbe und konnten in ihren Gemeinden dem erst viel später einsetzenden landwirtschaftlichen Unterricht vorgreifen. Für die selbst erzielten landwirtschaftlichen Verbesserungen waren sie jedenfalls dank ihrer Beherrschung von Wort und Schrift die gegebenen Propagandisten.
Text: Ernst Wintergerst, Bad Urach
Foto: Gerhard Dümmel Hülben